EU-Erwägungen zur Streichung von Fördergeldern bei AfD-Landesregierung in Thüringen
Die politische Landschaft in Thüringen könnte nach der Landtagswahl erheblich in den Fokus der Europäischen Union geraten. Die ehemalige Kommissionsberaterin Luise Quaritsch hat in einem Artikel für das Jacques Delors Centre der Hertie School vorgeschlagen, dem Bundesland bei einer möglichen AfD-Landesregierung EU-Mittel in Höhe von 1,5 Milliarden Euro zu streichen.
Ein Präzedenzfall für Europa?
Quaritsch argumentiert, dass rechtspopulistische und -extreme Parteien in ganz Europa an Zuspruch gewinnen würden. Die Konsequenzen dessen seien bereits in Ungarn, Polen und der Slowakei zu beobachten, wo die EU ihre Rechtsstaatlichkeitsinstrumente eingesetzt und Mittelkürzungen durchgesetzt habe. Ihrer Meinung nach sei es auch auf regionaler Ebene möglich, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen.
Sie schlägt konkret vor, die vollständige Streichung der 1,5 Milliarden Euro, die Thüringen zwischen 2021 und 2027 erhalten soll, durchzusetzen. Diese Summe könnte die Regional- und Wirtschaftsförderung des Bundeslandes empfindlich treffen und somit eine Landesregierung unter Druck setzen. Immerhin würden die EU-Gelder 15 Prozent der Thüringer Strukturfonds ausmachen.
Rechtsstaatlichkeit und Vertragsverletzungsverfahren
Quaritsch empfiehlt, Vertragsverletzungsverfahren gemäß den Artikeln 258 und 260 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einzuleiten, um eine Landesregierung zu verurteilen, die EU-Gesetze nicht zeitnah umsetzt oder gegen die Grundrechte der Union verstößt. Ein solches Verfahren könne bis zu zwei Jahre dauern. Um schneller Druck auszuüben, schlägt sie die Anwendung der 2021 eingeführten „Konditionalitätsverordnung“ vor, die es ermöglicht, EU-Mittel bei Rechtsstaatlichkeitsverstößen auch vorläufig einzufrieren.
Die AfD und die Rechtsstaatlichkeit
Für Quaritsch steht fest, dass die AfD als rechtsextremistisch einzustufen sei. Entsprechend gehe sie davon aus, dass eine AfD-Landesregierung nicht auf dem Boden des Rechts handeln könne. Diese Einschätzung könnte jedoch unter politischen Gesichtspunkten noch einmal genauer abgewogen werden müssen.
Einfluss der EU auf nationale Angelegenheiten
Die vorgeschlagenen Maßnahmen werfen jedoch auch die Frage auf, inwieweit die EU in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitgliedsstaaten eingreifen sollte. Kritiker könnten argumentieren, dass die EU hier ihre Kompetenzen überschreiten würde und eine Einmischung in die demokratischen Prozesse der Mitgliedsstaaten darstellt.
Die Debatte um die mögliche Streichung der EU-Gelder für Thüringen zeigt einmal mehr, wie tief die politischen Gräben in Europa sind. Während die EU versucht, ihre Werte und Prinzipien zu verteidigen, sehen viele Bürger und Politiker in den Mitgliedsstaaten dies als unzulässige Einmischung in nationale Angelegenheiten.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Thüringen entwickelt und ob die EU tatsächlich zu solch drastischen Maßnahmen greifen wird. Klar ist jedoch, dass die politische Landschaft in Deutschland und Europa weiterhin von tiefen Spannungen geprägt ist.