Russlands Wirtschaft am Abgrund: Wie lange kann Putin noch zahlen?
Offiziell geht es der russischen Wirtschaft hervorragend. Putins Propagandisten besingen unablässig, wie großartig Russland mit den Sanktionen fertig geworden sei. Doch die Realität scheint weit düsterer zu sein. Der Vizechef der russischen Zentralbank, Wladimir Tschistjuchin, äußerte bei einer Tagung in St. Petersburg alarmierende Worte: „Ein kleinerer, aber im Moment wichtiger Bereich sind internationale Zahlungsverpflichtungen. Wir müssen alles tun, um das Räderwerk am Laufen zu halten. Was uns gestern noch ungewöhnlich vorkam, was weiß ich, Finanzkontrakte, Zwischenhändler oder die Verwendung von Krypto-Währungen – alles muss getestet, alles muss so schnell wie möglich ausprobiert werden. Denn wenn es für unser export- und importabhängiges Land keine normalen Zahlungsmöglichkeiten in der Außenwirtschaft gibt, bedeutet das den Tod unserer Wirtschaft.“
Massive Zahlungsprobleme im Auslandsgeschäft
Russische Wirtschaftsblätter berichteten von massiven Zahlungsproblemen des Landes im Auslandsgeschäft durch die vom Westen verhängten Sanktionen. Der Chef des russischen Industrieverbandes, Alexander Schokin, tröstete sich bisher damit, dass die Unternehmen immer wieder Schlupflöcher fänden, doch der Druck werde jedes Mal größer. Russland hatte versucht, auf Alternativen zum US-Dollar umzusteigen, um seine Importe zu bezahlen, etwa den chinesischen Yuan oder den Dirham der Vereinigten Arabischen Emirate. Doch aus Angst vor Sanktionen weigern sich sogar chinesische und türkische Banken neuerdings, Überweisungen zu bearbeiten.
Hoffnung auf Gold und Hawala
Ein Artikel des liberalen Wirtschaftsblatts „Kommersant“ beleuchtet die verzweifelten Versuche Russlands, alternative Zahlungssysteme zu nutzen. Ein befragter Unternehmer konnte sich vorstellen, das islamische Mittelsmänner-Zahlungssystem Hawala zu nutzen, ein anderer wollte nicht ausschließen, dass wieder die Geldkoffer in Mode kommen. Ein befragter Manager sagte: „Niemand hat Kryptowährungen ausgeschlossen. Die sind ein erstaunliches und völlig verständliches Werkzeug. Zweitens gibt es Tauschmöglichkeiten. Sie übernehmen zum Beispiel Schulden und zahlen die dann einfach ab. Auch das ist möglich. Und dann gibt es da noch eine sehr traditionelle Sache, die überhaupt noch nicht diskutiert wurde: Sie heißt Gold.“
Desaströse Lage wird verschleiert
Die Stimmung in Russland ist angespannt. Russische Leser richten ihre Hoffnungen auf „kleine kasachische Banken“, die Verbindungen zu China hätten. Andere verloren den Glauben an die Beruhigungspillen aus dem Kreml: „Tatsächlich war von den ersten Tagen [des Angriffskriegs auf die Ukraine] an klar, dass die Frage der Geldtransaktionen ins Ausland in Zukunft das Hauptproblem für unser Land sein würde, weil, egal wie man es betrachtet, kein Land ohne Außenhandel existieren kann.“
Exil-Politologe Anatoli Nesmijan schreibt zum bemerkenswerten Auftritt von Tschistjuchin: „Die Sanktionen verstopfen die Zahlungssysteme wie Blutgerinnsel und Geld ist das Lebenselixier jeder Wirtschaft. Die Zentralbank weiß das besser als andere. Daher wird jetzt vorgeschlagen, beliebige, auch exotische Möglichkeiten und Währungen zu nutzen, um den bestehenden und zukünftigen ‚Rückstau‘ bei den Geldbewegungen irgendwie zu umgehen.“
Ertrinkende müssen sich selbst helfen
Die Lage sei in etwa so ernst wie in den 1990er Jahren, als tschetschenische Kriminelle massenhaft Betrügereien mit Bank-Wechseln begingen und damit einen Milliarden-Schaden anrichteten. Nesmijan sprach vom „Zusammenbruch“ des russischen Zahlungssystems. „Es ja der Job von Ertrinkenden, sich irgendwie selbst zu helfen.“
Der Politologe verglich die Wirkung der Sanktionen mit einer „langsamen, aber stetigen“ Strangulation: „Sie erfordert viel Zeit und ist keineswegs darauf angelegt, die russische Wirtschaft zusammenbrechen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Sollte es zu einem Zusammenbruch kommen, denke ich, dass der Westen alles tun wird, um ihn zu verhindern. Er braucht einen erschöpften, ausgelaugten Partner, keine verwesende Leiche.“
Die Zukunft Russlands bleibt ungewiss. Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der anhaltenden Sanktionen stellt sich die Frage, wie lange Putin noch zahlungsfähig bleiben kann. Eines ist sicher: Die kommenden Monate werden entscheidend sein.