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25.07.2024
06:08 Uhr

Emmanuel Todd: "Wir alle in Europa warten darauf, dass Deutschland den Krieg beendet"

Emmanuel Todd: "Wir alle in Europa warten darauf, dass Deutschland den Krieg beendet"

Der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd hat in einem Interview mit der Berliner Zeitung eine klare Forderung geäußert: Deutschland müsse sich von den USA lösen und einen Frieden in der Ukraine herbeiführen. Todd ist überzeugt, dass es an Deutschland liegt, den Ukraine-Krieg zu beenden. Er erklärte: "Es geht also darum, ob sich Deutschland von den Amerikanern löst und sich für den Frieden in der Ukraine einsetzt. Deutschland wird entscheiden, ob ein endloser Krieg weitergeht oder ob Frieden einkehrt. In diesem Sinne muss Deutschland seiner Verantwortung als Führungsmacht in Europa gerecht werden. Wir alle in Europa warten darauf, dass Berlin den Krieg beendet."

Deutschland als Schlüssel zur Friedenslösung

Militärisch sei der Krieg laut Todd bereits entschieden. Seine schon vor Monaten geäußerte Einschätzung, dass die Ukraine den Krieg verloren habe, brachte ihm von der Berliner Zeitung den Vorwurf der "Nähe zu Putin" ein – den er entschieden zurückweist. Todd betont, dass seine Aussagen lediglich das widerspiegeln, was auch das Pentagon oder der französische Generalstab denken würden.

Die Rolle der USA und die geopolitische Lage

Für Todd ist klar: Die USA seien das eigentliche Problem. "Jeder im Westen weiß, dass Russland weder den Willen noch die Mittel hat, in Europa einzumarschieren. Das Letzte, was die Russen wollen, ist, wieder Polen verwalten zu müssen. Die Europäer könnten also einen Frieden in der Ukraine akzeptieren, das wäre in ihrem Interesse. Aber für die Amerikaner wäre das katastrophal. Würden die Russen ihre Ziele in der Ukraine erreichen, wäre Amerika in den Augen der Welt von einer ebenbürtigen Macht besiegt worden. Und das würde höchstwahrscheinlich zum Zusammenbruch des gesamten amerikanischen Weltsystems führen," so Todd.

Die historische Perspektive

In einem historischen Rückblick beschreibt Todd die Annäherung zwischen Europa und Russland Anfang der 2000er-Jahre als einen wichtigen Faktor. Die Bildung einer gemeinsamen Front gegen den Irakkrieg durch Schröder, Putin und Chirac habe die Amerikaner alarmiert. Washington habe befürchtet, dass sich Deutschland mit Russland zusammentun und Amerika aus Europa verdrängen könnte. Die Folge sei gewesen, dass Deutschland von Russland getrennt werden musste, was durch die russische Intervention in der Ukraine schließlich erreicht wurde. Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines sei das "Sahnehäubchen" gewesen.

Die Folgen für den Westen

Todd sieht den Niedergang des Westens als einen inneren Zerfall mit Amerika im Zentrum. Er verweist auf verschiedene Indikatoren, wie die höhere Kindersterblichkeit in den USA im Vergleich zu Russland und die Schwächen im Bildungsbereich. "Dort sinkt das Bildungsniveau seit 1965, die Zahl der Studenten stagniert, und Tests zeigen, dass der Intelligenzquotient sinkt. Die Amerikaner bilden heute oft keine Ingenieure mehr aus, sondern Juristen und Börsianer," so Todd.

Die Zukunft der Weltordnung

Anders als viele Beobachter glaubt Todd nicht, dass die USA nach einer Niederlage in der Ukraine einen weiteren Krieg mit China anzetteln werden. "Sie haben einfach nicht die Mittel dazu. Ein Krieg zwischen China und den USA im Südchinesischen Meer wäre in wenigen Stunden vorbei, die Chinesen würden die amerikanischen Flugzeugträger mit Hyperschallraketen problemlos versenken," erklärt Todd. Die zukünftige Welt werde eine multipolare sein, die sich keine Kriege mehr leisten könne.

Am Ende des Interviews äußert sich Todd auch zur Lage in Frankreich und zeigt sich skeptisch gegenüber den politischen Entwicklungen in seinem Heimatland. Wahlen in Frankreich seien für ihn eine "Komödie", da das Land nicht mehr wirklich souverän sei.

Emmanuel Todd, Jahrgang 1951, ist einer der bekanntesten Historiker und Anthropologen Frankreichs. Er arbeitete am "Nationalen Institut der Bevölkerungsstudien" (INED) und befasste sich unter anderem mit den verschiedenen Familienstrukturen auf der Welt und ihrem Einfluss auf Überzeugungen, Ideologien, politische Systeme und historische Ereignisse. Sein neuestes Buch "Der Fall des Westens" erscheint im Oktober 2024 in deutscher Übersetzung im Westend Verlag.

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